„Nein, nein, Dingos kommen nicht ins Camp, außer man lässt Essensreste rumliegen,“ versichert Stefan auf unsere besorgte Frage hin, was da gerade heult und ob es uns etwa gefährlich werden könnte. Sofort verspüre ich noch einmal Appetit und hole mir einen Nachschlag, damit auch ja nichts übrig bleibt! Da sitzen wir nun also, mitten im Busch, d. h. im Litchfield National Park im tropischen Norden von Australien.
Vor zwei Tagen begann unsere Tour im 200 km nördlich gelegenen Darwin, der Hauptstadt des Nordterritoriums. Mit mir sind Paul, Josef, Ulrike und Dietmar unterwegs. Jeder ist mit einer Yamaha XT 600 E ausgerüstet, die uns die nächsten 6.000 km durch den australischen Kontinent tragen sollen. Begleitet werden wir von Stefan, unserem Tourguide, der das Allrad-Begleitfahrzeug steuert.
Eine tropische Flora und interessante Tierwelt (Krokodile und Dingos) ließen bei mir keinen Jetlag aufkommen und während unserer ersten Tage gab es viele Gelegenheiten zum (sicheren) Baden. Im Norden Australiens gibt es zwei große Nationalparks, den Litchfield und Kakadu.
Unsere Wahl fiel auf den ersten, da dieser kleiner und daher leichter zu bereisen ist, vor allem für Mitteleuropäer, die frisch aus dem herbstlichen Deutschland kommend sich erst einmal an das tropische Klima gewöhnen müssen. Nach einer heißen Nacht, es hat nur auf ca. 24 Grad abgekühlt, warten 80 km Buschpiste auf uns.
Zwar ist mir als Straßenmotorradfahrer so ein Untergrund fremd, doch finde ich schnell gefallen daran und werde fast etwas übermütig bei meinen ersten Driftversuchen. Die Regenzeit steht kurz bevor und folglich sind die Vegetation und die Flussläufe ziemlich trocken. Nur weiße Holzlatten künden von den Wasserständen der Flussdurchfahrten zur Regenzeit an. Teilweise reichen sie bis 2 m und man kann sich schwerlich vorstellen, wie das Land dann aussehen mag. Zur jetzigen Jahreszeit haben wir es besser, was Ulrike jedoch nicht davon abhält, einen Plattfuß zu fahren.
Dank unseres Begleitfahrzeuges handelt es sich nur um eine verlängerte Zigarettenpause, bis wir wieder „on“ bzw. „off road“ sind.
Die nächsten Tage bleibt es tropisch und meine ersten Filme sind belichtet mit Wasserfällen, Regenwald, Krokodilen, fliegenden Hunden, Kängurus, Kakadus und abenteuerlichen Fahrbildern.
Diesen Abend tun wir etwas für unser kulturelles Verständnis gegenüber den Australiern und besuchen dazu ein Museum? Nein, sondern das Daly Waters Pub! Diese Kneipe gehört zu einer aussterbenden Sorte und obwohl mittlerweile schon Touristenbusse ihren Weg dorthin finden, hat es nichts von seiner Originalität und Ursprünglichkeit eingebüßt. Crocodile Dundee lebt!
Die Szenerie im Pub entspricht der aus dem Film und die Gäste und Bedienung sind auch „fair dinkum“, d. h. original australisch. Vom Rodeocowboy, Truckfahrer, bis hin zum Versicherungsvertreter aus Melbourne, der gerade Urlaub macht und uns Motorradtouristen, trifft sich alles in der „Dorfkneipe“ (Anm.: Daly Waters besteht nur aus zwei Häusern, einer Tankstelle, dem Pub und einem Campingplatz).
Uns alle verbindet die tropische Schwüle und der daraus resultierende Durst, der an der Theke gelöscht werden will. Mit meinem Schulenglisch komme ich hier nicht sehr weit, doch mit Hilfe von ein paar Bieren und einem Billardspiel lassen sich auch solche Hindernisse überwinden.
Die „Sprachhilfen“ zeigen bei der nächsten Tagesetappe ihre Wirkung, wir alle sind nicht unglücklich, als wir am Abend an den Devils Marbles, unserem Nachtplatz, ankommen. Diese „Teufelsmurmeln“ sind riesige Granitkugeln, die eine atemberaubende Kulisse bei meinem bevorstehenden Diaabend bieten und staunende „Ahas“ und „Ohos“ hervorrufen sollen.
Hier treffen wir auf Axel, einen schwäbischen Landsmann, der uns abends auf seinen Didjeridoos vorspielt. Didjeridoos sind Musikinstrumente der Aborigines. Ein hohler Baumstamm, durch den man bläst, was dann einen tiefen sonoren Klang erzeugt. Frauen sollen eigentlich nicht darauf spielen, da sie sonst laut Aborigines unfruchtbar werden. Ich nehme das Risiko in Kauf, doch außer einem mageren „Trött“ gelingt mir keine musikalische Komposition. Vielleicht hat sich ja dafür die Verhütung geklärt? Für die Aborigines ist dieser Ort heilig. Gemäß ihrer Mythologie handelt es sich bei den Kugeln um die Eier der Regenbogenschlange, die dort während der Traumzeit entlang kam. Heute jedoch nicht und deshalb schlafen wir nachts ohne Zelt und werden durch einen sagenhaften Sternenhimmel belohnt. Mittlerweile sind wir schon eine Woche unterwegs und verbringen das Wochenende in Alice Springs, mitten im „roten Herz“ von Australien. Was mich hier am meisten betrifft, ist der Zustand der Aborigines. Verwahrlost und meistens angetrunken lungern sie im Stadtzentrum oder im ausgetrockneten Flussbett herum. Nicht viel scheint von ihrer einstigen Kultur und Würde übrig geblieben zu sein. Sofort drängt sich mir das Bild vom bösen weißen Mann auf und Rassismus ist das Schlagwort, was hängen bleibt. Beim Abendessen spreche ich Stefan auf die Situation der Ureinwohner an. Schließlich will ich nicht nur Motorradfahren, sondern auch das Land, seine Leute und seine Geschichte kennen lernen. Stefan, der seit 1988 überwiegend in Australien lebt und seine Firma „Southern Cross Australia“ seit 1994 betreibt, merkt man an, dass er bezüglich der Aborigine-Problematik einen anderen Standpunkt vertritt. „Grundsätzlich“, erklärt er, „weiß jeder, dass den Ureinwohnern übel mitgespielt wurde, doch man kann die Zeit eben nicht zurückdrehen. Heutzutage besitzen Aborigines dieselben Rechte wie ein weißer Australier. Weiße, vor allem Touristen beurteilen die Lage der Aborigines von ihren Wertvorstellungen aus und da liegt schon einmal der große Fehler!“ Fast den ganzen Abend gibt er Auskunft und ich gewinne ein anderes Bild mit all den Hintergrundinformationen über die heutige Situation; doch sollte sich jeder Interessierte seine eigene Meinung vor Ort bilden.
Von Alice Springs aus führt uns die Route zum Kings Canyon und an den Ayers Rock. Hierbei sind 200 km Schotterpiste mit eingeplant. Josef und Paul lassen sich aufgrund ihres reiferen Alters auf der Piste entschuldigen und nehmen einen 100 km-Umweg in Kauf, um nicht durchgeschüttelt zu werden. Wir vier wählen die staubige Strecke und pflügen den halben Tag durch die rote Erde mit fantastischen Ausblicken in die West Mac Donnell Ranges, dem Gebirgszug, der Alice Springs umgibt.
Während wir bis jetzt abseits der üblichen Touristenrouten gereist sind, erschlägt uns am Ayers Rock das Spektakel, das sich zum Sonnenuntergang am roten Felsen abspielt. Mitten im Outback stehen wir im Stau und hätten wir nicht die Motorräder dabei, so würden wir wohl immer noch dort anstehen. Nichts desto trotz ist der Ayers Rock schon imposant und ein weiterer Kodak-Film geht seinen Weg.
Australien setzt sich aus 8 Bundesstaaten, bzw. Territorien, zusammen und nach 2.500 km erreichen wir gerade mal unseren zweiten, nämlich Südaustralien. Hier übernachten wir abseits des Stuart Highways mitten im Busch, diesmal ohne Stau und anderen Touristen, dafür aber mit einer Lammkeule, die Stefan im Erdofen brät. Auch ohne Dingos bleibt dieses Mal nichts übrig und abends am Lagerfeuer fühlen wir uns wie die ersten Entdecker, als sie sich damals quer durchs Outback ihren Weg bahnten. „Opals, Opals!“ leuchtet es uns in Coober Pedy entgegen. In diesem merkwürdigen Ort dreht sich alles um diesen Halbedelstein, der aus den Minen gefördert wird. Zwei Tage bleiben wir hier, was mir auch Gelegenheit gibt, meine Postkarten (ich bin schon schwer im Verzug) zu schreiben. Unsere Unterkunft ist dieses Mal ein ortstypisches Dug-Out, d. h. eine Felshöhle, in die mehrere Zimmer gesprengt wurden. Sehr bequem, da es im Fels immer eine gleichbleibende Temperatur hat und man vor Staub und Sonne geschützt ist. Tags darauf nehmen wir auch an einer Minen- und Stadttour teil und Ulrike und Dietmar versuchen nachmittags auf den Abraumhalten ihr Opalglück. Abends kommen sie verstaubt und verschwitzt, aber dafür mit ein paar netten Andenken, wieder zurück. Infos zu den Opalen und Coober Pedy erhalten wir abends aus 1. Hand von Beni, einem Schweizer, der mittlerweile Australier ist. Beim Abendessen zeigt er uns einige seiner Funde und Josefs Fahrschule wird fast gegen eine Opalmine eingetauscht.
Die letzte Woche beginnt so wie die erste, nämlich mit Buschpisten. Über den Oodnadatta-Track wollen wir durch die Flinders Ranges nach Süden fahren. Der Wetterbericht verspricht keinen Regen, denn dann würde die Piste zur Schlammpassage werden und da wir alle keine Geländeprofis sind, müssten wir über den normalen Highway fahren.
Doch das Wetter bleibt uns hold und wir fahren über William Creek nach Coward Springs, einer kleinen Oase mitten in der Wüste. Die Szenerie ist gigantisch. Endlose Weite, blauer Himmel, rote Erde, die Luft am Horizont flimmert, ein paar vereinzelte Kühe und eine Staubwolke, die aus der Ferne auf mich zukommt: Josef und Paul. Mitten in dieser Einöde hat Greg, ein Australier, das kleine Paradies „Coward Springs“ erschaffen. Ursprünglich nur eine Wasserbohrung hat er die Quelle eingefasst und Palmen und Bäume angepflanzt. Aus alten Eisenbahnbohlen zimmerte Greg Toiletten und Duschhäuschen und ein kleines Badebassin. Ein Garten Eden in der Wüste! Mittlerweile sind meine Endurokünste auch fortgeschritten und die zerklüfteten Flinders Ranges bieten genau das richtige Terrain, um mich zu beweisen. Ich fühle mich an meine Kindheitslektüren von Karl May „Durchs wilde Kurdistan“ und „Der Schut“ erinnert, wären da nicht die Emus und Kängurus! Einer dieser großen Laufvögel wird mir auch fast zum Verhängnis. Wie ich so in meinem Endurowahn dahinbrause, bemerke ich einen Emu, der parallel zur Piste neben mir herrennt und prompt springt er natürlich quer über die Straße. „Noch einmal Glück gehabt!“, denke ich, doch fällt mir Stefans Warnung „Ein Emu kommt selten allein!“, wieder ein. Vorsichtshalber bremse ich ab und siehe da, aus dem Gebüsch rast Familie Emu dem ersten Vogel hinterher. Das war knapp und ich beschließe mich mehr der Landschaft als meinen Sportambitionen zu widmen. Abends am Lagerfeuer wissen auch die anderen von so manchen Adrenalin erzeugenden Fahrsituationen zu berichten, doch zu Schaden kam niemand.
Tags darauf kehren wir dem Outback den Rücken und schlagartig ändert sich die Vegetation. Eukalyptus-Wälder, grüne Felder, Obstplantagen und Weinberge lösen die karge Wüstenlandschaft ab. Am Murray-Fluss entlang fahren wir nach Victoria, unseren dritten Bundesstaat. Dank des großen Flusses kann man weite Landstriche bewässern und das sonnige trockene Klima gewährleistet einen erfolgreichen Weinanbau.
Von dessen Qualität müssen wir uns bei einer Weinprobe natürlich selbst überzeugen. Die letzten beiden Fahrtage verbringen wir am wohl schönsten Küstenabschnitt Australiens: der Great Ocean Road! Neben zahllosen Sehenswürdigkeiten, wie den „12 Aposteln“ und „London Bridge“, Felsformationen, die durch die Brandung, Wind und Erosion aus dem Festland gemeißelt wurden, lässt die Straße selbst jedes Biker-Herz höher schlagen.
Eine Kurve jagt die andere und die atemberaubende Landschaft trägt zu meiner Euphorie bei. In diesem Schräglageneldorado werden nun auch mal die Seiten der Pneus beansprucht. Hatte ich im Gelände noch die Nase vorn, so ist jetzt Paul der Pacemaker, an dessen Bremslicht ich mich fortan orientiere. Dietmar und Ulrike lassen es gemütlicher angehen und bekommen dafür einen Koala und nicht nur ein rot leuchtendes Glühbirnchen zu Gesicht. Heute erreichen wir Melbourne. Mit über 3 Millionen Einwohnern darf sich Melbourne wohl eine Weltstadt nennen und diesen Eindruck vermittelt es auch. Ein emsiges Treiben, multikulturelle Veranstaltungen, exotische Märkte, Sehenswürdigkeiten und ein Vielvölkergemisch gehen einher mit der sprichwörtlichen „Easy going-Mentalität“ der Australier. An unserem letzten Abend unternehmen wir noch einen Ausflug ins Casino, den gewaltigen Entertainment-Komplex mitten im Herzen der City. Nach 3 Wochen und 6.000 km quer durch den australischen Kontinent stellt der Casino-Palast eine witzige Abschlusskulisse für unsere Biker-Truppe dar. Niemand schaut uns komisch an, obschon unserer rotverstaubten Stiefel, fliegenverklebten Motorradjacken, sonnenverbrannten Nasen und Bartstoppeln (bei den Jungs) Insignien, die von unseren bestandenen Abenteuern künden, „Easy going“ und „No worries“ eben.
Silke Schober